Die Deutschen und ihr Asperger-Syndrom (1), Teil II
Zum 7. April 1933+80
oder
„... und hängen Sie die Papiere Ihrer Großmutter in den Abtritt.“ (2)
Das „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" (3)

 

Vor zwei Wochen jährten sich der „Tag der nationalen Erneuerung“ oder „Tag von Potsdam“ (21.3.33) sowie die Zustimmung von 444 deutschen Abgeordneten des Deutschen Reichstages zur Abschaffung der parlamentarischen Demokratie in Deutschland durch das „Ermächtigungsgesetz“ am 23.3.33 zum 80. Mal (1).

Und so konnten die Nationalsozialisten am 7. April 1933 mit ihrer „völkischen Gesetzgebung“ beginnen, in der die durch Blut und Kriege zusammengeschmiedete Nation der Deutschen, die nie „ein Volk“ waren, sich als eben dieses eine „deutsche Volk“ zu definieren begannen.

So viele Deutsche haben nach 1945 „von allem nichts gewusst“ und zeigten sich überrascht darüber, was ihren „jüdischen Mitbürgern“ so alles „widerfahren“ war. Dabei wurde schon am 7. April 1933 das Gesetz erlassen, das ihre „Amt- und Würdenträger“ schon keine drei Monate nach dieser Machtübergabe an die Nationalsozialisten dazu brachte, ihren „Ariernachweis“ (4) zu beantragen.

„Zur Wiederherstellung eines nationalen Berufsbeamtentums und zur Vereinfachung der Verwaltung“ konnten „Beamte nach Maßgabe der folgenden Bestimmungen aus dem Amt entlassen werden, auch wenn die nach dem geltenden Recht hierfür erforderlichen Voraussetzungen nicht vorliegen.“ (2)

Schon in diesen ersten Zeilen wird „geltendes Recht“ für null und nichtig erklärt , und im Folgenden wird die neue Willkür mehrfach betont: „Weitere Ausnahmen können der Reichsminister des Innern im Einvernehmen mit dem zuständigen Fachminister oder die obersten Landesbehörden für Beamte im Ausland zulassen.“ (2)

Wen betraf dieses Gesetz? Beamte „des Reichs“, der Länder, Gemeinden und Gemeindeverbände „sowie diesen gleichgestellte Einrichtungen und Unternehmungen“ und „Bedienstete der Träger der Sozialversicherung, welche die Rechte und Pflichten der Beamten“ hatten. „Die Reichsbank und die Deutsche Reichsbahn-Gesellschaft“ wurden „ermächtigt, entsprechende Anordnungen zu treffen“ (2).

„Beamte, die nicht arischer Abstammung sind“, wurden entlassen, es sei denn, dass sie schon vor Beginn des Ersten Weltkrieges Beamte waren“, „im Weltkrieg an der Front für das Deutsche Reich oder für seine Verbündeten gekämpft“ hatten oder ihre „Vater oder Söhne im Weltkrieg gefallen“ waren. (Weitere Ausnahen konnten willkürlich zugelassen werden.)

„Beamte, die nach ihrer bisherigen politischen Betätigung nicht die Gewähr dafür bieten, daß sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten“, konnten entlassen werden.

Beamte konnten versetzt werden, „wenn es das dienstliche Bedürfnis erfordert“.

„Beamte, die nicht arischer Abstammung sind“ (2) – das betraf alle „Juden“ und „Zigeuner“, also jene Menschen, denen man bald ein „J“ oder ein „Z“ in die Pässe stempelte. Man – wer?

Und „Beamte, die nach ihrer bisherigen politischen Betätigung nicht die Gewähr dafür bieten, daß sie jederzeit rückhaltlos für den nationalen Staat eintreten“ (2) – das betraf alle Demokraten.

Alle diese Menschen wurden seit dem 7. April 1933 nach Lust und Laune der Nazis aus dem öffentlichen Dienst entlassen und somit die Existenzgrundlage entzogen. Und ab diesem Tag war es den meisten Deutschen darum zu tun, bloß nicht in den Verdacht zugeraten, zu diesem Personenkreis zu gehören.

Also gingen sie los und forschten in ihren Stambäumen in der Hoffnung, dass nur ja kein „Jude“ darin zu finden war. Denn: „Als ‚nichtarisch’ galt, wer einen jüdischen Eltern- oder Großelternteil besaß.“ (4)

Und später behaupteten sie dann, sie hätten von allem nichts gewusst. Sie hatten die Boykottaktionen gegen jüdische Geschäfte am 1. April 1933 (5) auch nicht als unmittelbare Bedrohung verstanden („Deutsche! Wehrt Euch! Kauft nicht bei Juden!“), hatten auch das „Gesetz über die Zulassung zur Rechtsanwaltschaft“ vom 7. April (6) nicht bemerkt, würden das „Gesetz gegen die Überfüllung deutscher Schulen und Hochschulen" vom 25. April 1933 (7) ebenso nicht bemerken, und die Bücherverbrennungen am 10. Mai 1933 (8) besonders vor deutschen Universitäten hatten nur ganz wenige deutsche Professoren gesehen.

Das alles passierte schon wenige Wochen nach der Machtübergabe deutsch-nationaler Kreise an die Nationalsozialisten, und es dauerte noch einige Jahre, bis die Synagogen brannten. Es bedurfte noch vieler Gesetze, um die Deutschen von einer Nation der „Dichter und Denker“ in eine Nation der Richter und Henker zu verwandeln (9).

„Was hätten wir denn tun sollen?“ Diese deutsche Frage höre ich seit Jahrzehnten. Und bei diesem unsäglichen „Gesetz zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums" (3) ist die Antwort sehr einfach: Keinen „Ariernachweis“ beantragen, sondern sich vor die jüdischen Kollegen stellen und gegebenenfalls mit ihnen zusammen gehen! Das ist das, was man Solidarität nennt. Und wenn das alle gemacht hätten, wäre der nationalsozialistische Staat sofort zusammengebrochen.

Es ist und bleibt eben immer dieses „Nein!“ (10), mit dem eine Demokratie lebt oder stirbt, und als Rheinländerin fällt mir natürlich an dieser Stelle „Des Teufels General“ (2) von Carl Zuckmayer ein mit seiner schönen Passage „Es waren die Besten, mein Lieber! Die Besten der Welt! Und warum? Weil sich die Völker dort vermischt haben. Vermischt - wie die Wasser aus Quellen und Bächen und Flüssen, damit sie zu einem großen, lebendigen Strom zusammenrinnen. ... Seien Sie stolz darauf, Hartmann –

und hängen Sie die Papiere Ihrer Großmutter in den Abtritt. Prost.“ (2)

Nadja Thelen-Khoder

 

(11)

Anmerkungen:

(1) http://www.migrapolis-deutschland.de/index.php?id=2429

(2) Carl Zuckmayer, „Des Teufels General“; S. Fischer Verlag 1970, S. 65 Die Stelle findet sich unter http://www.heidecker.eu/Rheinweinstube/D_RWSStory04.htm Besonders empfehle ich hier auch die Verfilmung von Helmut Käutner mit Curd Jürgens in der Hauptrolle (http://de.wikipedia.org/wiki/Des_Teufels_General_%28Film%29), erhältlich als DVD („Edition Deutscher Film“ 08), zu bestellen über Buchhandlungen.

(3) http://www.dhm.de/lemo/html/dokumente/berufsbeamten33/index.html

(4) http://www.dhm.de/lemo/html/nazi/antisemitismus/arierparagraph/index.html

(5) http://www.dhm.de/lemo/html/nazi/antisemitismus/index.html

(6) http://de.wikipedia.org/wiki/Gesetz_%C3%BCber_die_Zulassung_zur_Rechtsanwaltschaft

(7) http://www.dhm.de/lemo/html/nazi/alltagsleben/schule/index.html

(8) http://www.dhm.de/lemo/html/nazi/innenpolitik/buecher/index.html

(9) http://www.dhm.de/lemo/html/nazi/innenpolitik/etablierung/index.html

(10) http://gabrieleweis.de/denkwerkstatt/literarisches/borchert-dann-gibt-es-nur-eins.htm

(11) wikimedia.org

 

 

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